«Für den Netzausbau fehlt die Strategie»

  25.09.2024 Region, Gesellschaft, Aktuell

Vier Punkte hob die Nationalrätin Aline Trede (Grüne) in ihrem Inputreferat zum Thema «Alternative Energiequellen» am Herbstanlass der Regionalkonferenz Emmental hervor. «Durch die Annahme des neuen Stromversorgungsgesetzes hat die Politik von der Bevölkerung einen klaren Auftrag erhalten: Man soll die Produktion von 36 Terawattstunden bis im Jahr 2035 durch erneuerbare Energien ermöglichen», erklärte die Bernerin zu Beginn. Mit dem Angriff von Russland auf die Ukraine habe die Energiepolitik einen anderen Schwung erhalten, in dem man nun auch über die Abhängigkeit von autokratischen Staaten diskutieren müsse. Ein weiterer Punkt zum aktuellen Thema sei der Netzausbau. Hier fehle ihr eine Strategie auf nationaler Ebene. Zudem sei das internationale Stromabkommen ein weiteres für die Politik eher unbeliebtes Thema. Etwas ausführlicher wurde sie beim vierten Punkt, der sich um den Beschleunigungserlass drehte. Er soll die Planung und den Bau grösserer Kraftwerke für erneuerbare Energien verkürzen, um den Ausbau der Produktion rasch vorantreiben zu können. «Wir haben die grösste Transformation des Energiesystems vor uns, das schaffen wir nur gemeinsam. Fokussieren wir uns auf die Chancen und auf das, was möglich ist.» Auf jeden Fall würde es sich lohnen, die Emotionen aus dem ganzen Thema etwas herauszunehmen, appellierte die Nationalrätin an alle.

Strom direkt ab Hof
Es war kein Zufall, dass man sich zum diesjährigen Herbstanlass auf dem «Giebel»-Hof der Familie Gerber in Bärau traf, auf dem erneuerbare Energie ein grosses Thema ist. Seit dem Jahr 2019 wird der Landwirtschaftsbetrieb von Beat Gerber und seinem Sohn Adrian Gerber in einer Generationengemeinschaft geführt. Seit 2020 betreiben sie eine Biogasanlage. Dafür wurde ein in den Boden eingelassenes Betonbecken mit 800 Kubikmetern Fassungsvermögen gebaut. Es diente gleichzeitig als Fundament für einen zweiten Wagenschopf. Alle sechs Stunden wird die Anlage mit Mist und Gülle bestückt, die zu 90 Prozent aus dem eigenen Betrieb kommen. Rund 3000 Kubikmeter Gülle und etwa 200 Tonnen Mist im Jahr sind es, die auf dem «Giebel»-Hof anfallen. Damit können 230 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugt werden, was für 60 Haushaltungen reicht. Auf dem «Giebel»-Hof in Bärau werden 40 Milchkühe gehalten und es stehen 560 Mastplätze für Schweine zur Verfügung. «Die Abwärme der Biogasanlage wird für die Anlage selbst sowie zur Beheizung des Wohnhauses und des Stöckli verwendet, der Rest wird ins Netz eingespeist», erklärte Adrian Gerber. Zusätzlich liefern zwei PV-Anlagen pro Jahr rund 83 000 Kilowattstunden Strom. Auch hier wird alles, was über den Eigenverbrauch hinaus produziert wird, ins Netz der Berner Kraftwerke (BKW) eingespeist.

Gemeinsam ist es möglich
Etwas detaillierter als beim Inputreferat wurde auf brennende Themen rund um erneuerbare Energien beim Podiumsgespräch eingegangen. Unter der Moderation des Kirchberger Gemeinderatspräsidenten Andreas Wyss standen Aline Trede, Adrian Bachmann (Leiter Gebiet Mittelland Ost, BKW) und Adrian Wälti (Leiter Gebiet Emmental, BKW) Rede und Antwort. Auf die Frage, ob die grosse Transformation des Schweizer Energiesystems überhaupt geschafft werden könne, antwortete Aline Trede mit einem ganz klaren «Ja, sicher». Nur schon, weil sie während der Führung durch den Hof der Familie Gerber in leuchtende Augen sehen durfte, präzisierte die Nationalrätin. «Oft hört man, es gebe in unserem Land keinen Pioniergeist mehr. Ich sehe aber sehr viel Pioniergeist von vielen Leuten, die mithelfen, die Transformation zu schaffen.»
«Sprechen wir über den Netzausbau, für den laut Aline Trede die Strategie fehlt. Jedes Jahr investiert die BKW 120 Millionen Franken in den Netz­ausbau. Bekommt der, der am lautesten ruft, am schnellsten ein neues Kabel oder hat die BKW eine Strategie?», fragte Wyss provokativ weiter. Die BKW könne seit der Änderung des Gesetzes den Netzausbau nun vorausschauender planen, antwortete Adrian Bachmann zusammengefasst. Wie viele Jahre man noch investieren müsse, hänge auch von den Einsprachen ab, ergänzte Adrian Wälti und nannte als Beispiel den Bau von Trafostationen. «Alle brauchen Strom, aber niemand will die Trafostation bei sich im Garten haben.» Zudem sei es bei den privaten PV-Anlagen wichtig, sie nicht nur stur nach Süden auszurichten, sondern auch nach Osten und Westen, sowie die Fassade dazuzunehmen. «Damit kann ein Ausgleich erreicht werden, das Netz wird weniger überlastet und nicht unnötig verteuert. Dazu braucht es vom Bund aber eine klare Strategie», zeigte sich Adrian Wälti mit Aline Trede einig.
Worauf man sich denn in Zukunft preismässig und technisch einstellen müsse, wollte der Moderator wissen. «Man überlegt sich, einen Sommer- und Wintertarif einzuführen, eventuell sogar in Richtung dynamische Preise. Wenn ein Überangebot besteht, wie diesen Sommer, fallen die Preise, wenn es einen kalten Winter gibt und die Stauseen wenig Wasser haben und dann auch noch Kraftwerke ausfallen, steigen die Preise. Früher oder später wird man das an die Kundinnen und Kunden weitergeben müssen, um Anreize zu schaffen, dass man als Beispiel das Elektroauto nur dann lädt, wenn die Sonne scheint, oder sich einen kleinen Stromspeicher anschafft.» Damit hatte Adrian Bachmann gleich das nächste Thema angesprochen. «Das Stromspeichern ist eine Frage des Preises», hakte Adrian Wälti ein. Technisch sei es möglich, wirtschaftlich gesehen aber wenig sinnvoll. Er persönlich tendiere eher zum Stromsparen.
Ob es denn eine Alternative zu alternativer Energie bräuchte, lautete eine Frage aus dem Publikum. «Die Alternative ist das Atomkraftwerk, viel anderes gibt es nicht. Aber aus den fossilen Energien müssen wir raus, das ist uns allen klar. Studien von Technischen Hochschulen zeigen, dass es ohne AKWs möglich wäre», erklärte Aline Trede. Ihrer Meinung nach sei es Zeitverschwendung, alternative Energien zu verhindern und dafür Geld in Atomkraftwerke zu stecken.
Das letzte Wort gehörte den Podiums­teilnehmenden. Moderator Andreas Wyss fragte nach Tipps, was die Menschen in Zukunft für die Energiewende unternehmen könnten. Während Adrian Wälti sich für das Decken von freien Dächern mit PV-Anlagen und die Elektromobilität aussprach, machte sich Adrian Bachmann für Wärmepumpen stark und dass man sich gut überlegen solle, ob man bei alternativen Energieprojekten wirklich Einsprache machen müsse. Zu guter Letzt wünschte sich Aline Trede, dass alle, die etwas für die Energiewende tun, andere damit motivieren und dass man keine Angst vor Veränderungen haben soll.

Marion Heiniger


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